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Betrifft: Technische Mathematik für Berufsschulen |
Hans-Dietrich Zeuschner, 01.03
Schätzen
ist besser als Raten !
Die Verordnung über die Berufsausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker/ Mechanikerin vom März 1989 befasst sich u.a. mit der Gesellenprüfung. § 9 beschreibt z.B. die prüfungsrelevanten Fächer und Inhalte:
„Der
Prüfling soll in der schriftlichen Prüfung in den Prüfungsfächern
Technologie, Arbeitsplanung, Technische Mathematik sowie Wirtschafts- und
Sozialkunde geprüft werden. Es kommen Aufgaben, die sich auf
praxisbezogene Fälle beziehen sollen, insbesondere aus folgenden Gebieten
in Betracht: ……….. Im
Prüfungsfach Technische Mathematik: a)
Länge, Winkel, Fläche, Volumen, Masse, Kraft, Druck, Drehmoment,
Geschwindigkeit, Frequenz, Beschleunigung, Temperatur, b)
Arbeit, Leistung, Wirkungsgrad, c)
Kenngrößen von Aggregaten, insbesondere Motorkenngrößen, d)
elektrische Größen, e) Arbeits- und Materialpreis;“
|
Der vorstehende Kanon ist mit
den geltenden Niedersächsischen Richtlinien für handwerkliche und industrielle
Metallberufe, Berufsgruppe Fahrzeugtechnik abgestimmt. Unter der Überschrift
„Lernkontrollen und Leistungsbewertung“ findet man hier die für diesen
Beitrag entscheidenden Hinweise:
„Für
die Leistungsbewertung gilt in besonderem Maße der Anspruch an möglichst
weitgehende Objektivität des Urteils und Vergleichbarkeit der Maßstäbe.
………..
Um
die Urteilsfähigkeit und Kritikfähigkeit der Schülerinnen und Schüler gegenüber
ihren eigenen Leistungen zu fördern, sollte die Leistungsbewertung von ihnen
nachvollzogen werden können.“
Diesem Anspruch steht entgegen, dass
es eher die Ausnahme als die Regel sein dürfte, dass Klassenarbeiten in
der Berufsschule sowie ebenfalls Aufgabensätze für Gesellenprüfungen nach dem
Berufsbildungsgesetz unter
Beachtung der Gütekriterien
konsequent
konstruiert, danach erprobt und revidiert worden sind. Vielmehr darf auf Grund
von langjährigen Erfahrungen behauptet werden, dass während des
Entstehungsprozesses von Klassen- und Gesellenprüfungsarbeiten
als Ganzes und im Detail das
vorstehende Instrumentarium nicht angewendet wird.
Über
die Qualität von Aufgabenstellungen
Regelmäßig werden während Prüfungen sowie ebenfalls bei
Klassenarbeiten in der Berufsschule Klärungsfragen gestellt, weil die
Aufgabenstellung von den Probanden nicht verstanden worden ist. Häufig beruht
die Ursache auf „Schaltfehlern“ der Auszubildenden / Berufsschülern, aber
durchaus nicht sehr selten weisen die Aufgabenstellungen objektiv nachweisbare
Konstruktionsmängel auf.
Eine gute Aufgabenstellung soll…….
…….
eine eindeutige Arbeitsanweisung in
Form einer schlichten Frage, eines unmissverständlichen Arbeitsauftrages oder
einer leicht übersehbaren Problemstellung
enthalten.
Der
Prüfling muss aus der Aufgabenstellung erkennen, welche Leistung von ihm
gefordert wird.
…….
knapp und klar sein.
Der Prüfling darf nicht mit Informationen „erschlagen“ bzw. durch unscharfe
Formulierungen verunsichert werden.
……
die Randbedingungen benennen und keine Lücken aufweisen.
Der Prüfling muss nach dem Studieren der Aufgabenstellung den Lösungsweg lückenlos
erkennen können.
…….
stilistisch und grammatisch einwandfrei sein und darf keine Tricks
enthalten.
Der Prüfling darf durch entsprechende Fehler nicht irritiert werden.
……
Hinweise über die zugelassenen Hilfsmittel enthalten.
Der Prüfling muss von Anfang an sein „Handwerkzeug“ in die Überlegungen
einbeziehen können.
……
Hinweise für Bewertung enthalten.
Der Prüfling muss die Wertigkeit der einzelnen Aufgabe innerhalb einer Arbeit /
eines Satzes erkennen können.
(Vgl.
H.-D. Zeuschner: Wenn man nicht weiß, wo man hin will, muss man sich nicht
wundern, dass man ganz woanders ankommt! In KHinform Lüneburg, Nr.14/92)
Weniger
PI-MAL-DAUMEN – mehr hin zur Objektivität
Welche Ergebnisse die PI-MAL-Daumen-Methode zeitigen kann, soll
exemplarisch an zwei Beispielen deutlich gemacht werden:
R.Weiss
berichtet von der Bewertung ein und derselben
Mathematikarbeit der 4. Schulstufe durch 153 Lehrer, dass 7% die Note
„1“, 9% die Note „4“ sowie 1% sogar die Note „5“ erteilt hätten. (Vgl.
Ingenkamp,K.: Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung, Weinheim 1989)
Mit
einem Instrument, das mit dem in Tabelle 1 gezeigten weitgehend identisch
war, ist die Zuordnung von Punkten zu Prüfungsaufgaben einer Gesellenprüfung für
Kraftfahrzeugmechaniker im Gebiet Technische Mathematik überprüft worden. Ergebnis: Lediglich
in 40% der Fälle konnte eine Übereinstimmung zwischen den vorgegebenen und den
berechneten Punktwerten festgestellt werden.
Zwei
Größen sind für die Beurteilung von Aufgabensätzen sowie von einzelnen
Aufgaben von besonderer Bedeutung,
Ein
idealer (in der Praxis nicht existenter) Aufgabensatz
besitzt einen mittleren Schwierigkeitsgrad und eine hohe Trennschärfe.
Mit den nachstehenden Instrumenten (Tabelle 1,2,3) wird der Versuch unternommen,
den Schwierigkeitsgrad von Mathematikaufgaben
für Gesellenprüfungen und Klassenarbeiten
einzuschätzen und damit den Grad der Zufälligkeit zu verringern bzw.
die Transparenz bei der Punktevergabe zu erhöhen.
Tabelle
1
Kriterien
für die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades von Aufgaben
in Technischer Mathematik unter Berücksichtigung von
formalen Aspekten
EINFLUSSGRÖSSEN | ZUSCHLAG | BEISPIEL:
Zu berechnen ist der Luftwiderstand eines Kfz mit A = ς/2 · cw · A · v2 |
Bekanntheitsgrad/Übungsgrad | ||
groß | 0 | |
0,1 | 0,1 | |
0,2 | ||
klein | 0,3 | |
FORMEL |
||
gegeben | 0 | |
dem Tabellenbuch entnehmen | 0,1 | 0,1 |
umstellen | 0,2 | |
selbst entwickeln | 0,4 | |
Erfahrungswert ermitteln | 0,3 | 0,3
(ς > Tabelle)
0,3 (cw > Tabelle) |
GEGEBENE ZAHLENWERTE ggf. mit EINHEITEN | ||
einsetzen | 0,1 | 0,1 |
umrechnen | 0,1 | 0,1 (km/h > m/s ) |
RECHENOPERATIONEN
mit Tascherechner |
||
Addieren | 0 | |
Subtrahieren | 0 | |
Multiplizieren | 0 | |
Dividieren | 0 | |
Potenzieren | 0,1 | 0,1 (v2) |
Radizieren | 0,1 | |
Klammerausdruck verarbeiten | 0,3 | |
Winkelfunktion verarbeiten | 0,2 | |
ANZAHL EINFLUSSGRÖSSEN | ||
zwei
)
drei ) |
0,1 | |
vier
)
fünf ) |
0,2 | 0,2 |
sechs
)
sieben ) |
0,3 | |
acht
)
u. mehr) |
0,4 |
Summe Rohpunkte | 1,3 |
====================================================================
Tabelle
2
Zur Einordnung von Aufgabenstellungen in Technischer Mathematik gemessen an den Fähigkeiten eines „Musterschülers“
Die Aufgabe berücksichtigt die Fähigkeit | ||||
voll | weitgehend | weniger | nicht | |
Der
Musterschüler in Technischer Mathematik ist versiert
im Umgang mit Technik, |
||||
technische Vorgänge zu analysieren und zu begreifen | ||||
technische Informationen zu verarbeiten und anzuwenden | ||||
technische Zeichnungen und Schaltpläne zu lesen und anzufertigen. | ||||
Der
Musterschüler in Technischer Mathematik kann logisch
denken, d.h.
er kann |
||||
Aufgaben und Informationen mühelos analysieren | ||||
übergeordnete Zusammenhänge leicht erkennen | ||||
Denkaufgaben sehr schnell verstehen und leicht lösen | ||||
bei Textaufgaben sehr schnell erfassen, worum es geht | ||||
leicht Fakten von Vermutungen trennen. | ||||
Aufgaben, die durch Nachdenken gelöst werden können, fallen ihm sehr leicht. | ||||
Der
Musterschüler in Technischer Mathematik kann rechnerisch
denken,
d.h.
er kann |
||||
mit Zahlen sehr gut umgehen | ||||
leichte Rechenaufgaben im Kopf lösen. | ||||
Schwere Rechenaufgaben zu lösen ist für ihn ein Kinderspiel. | ||||
Der
Musterschüler in Technischer Mathematik geht gerne mit
Daten und Zahlen um, |
||||
hat Gefallen am statistischen Vorgehen | ||||
rechnet gerne und wertet Zahlen und Daten z.B. in grafischen Darstellungen gerne aus | ||||
Der
Musterschüler in Technischer Mathematik hat ein sehr gutes räumliches Vorstellungsvermögen, |
||||
Entfernungen oder Größenordnungen einzuschätzen | ||||
3-D-Skizzen anzufertigen oder zu verstehen | ||||
sich
geometrische Körper, ohne eine Skizze zu zeichnen |
||||
im Kopf vorzustellen. | ||||
Der
Musterschüler in Technischer Mathematik ist ideenreich, |
||||
hat sehr viele Einfälle | ||||
kann Probleme ganz einfach lösen | ||||
Das Entwerfen
von Neuem sowie das Entwickeln |
(Verarbeitete
Literatur: Hrg. Bundesverband deutscher Banken: Start frei, Berlin 1999)
Tabelle 3
Kriterien
für die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades von Aufgaben in Technischer
Mathematik im Hinblick auf inhaltliche Aspekte
ja | fast | kaum | nein | |
Umgang mit Technik | ||||
Besteht bei der Aufgabenstellung ein Zusammenhang mit Maschinen, Geräten und technischer Literatur ? | ||||
Ist
bei der Lösung der Aufgabe von Skizzen oder Plänen |
||||
Logisches Denken | ||||
Ist
die Aufgabenstellung und
sind die Informationen mühelos
|
||||
Sind übergeordnete Zusammenhänge leicht zu erkennen ? | ||||
Ist die Denkaufgabe sehr schnell zu verstehen und leicht zu lösen ? | ||||
Kann bei der Textaufgabe sehr schnell erfasst werden, worum es geht ? | ||||
Können leicht Fakten von Vermutungen getrennt werden ? | ||||
Ist die Aufgabe, durch Nachdenken leicht zu lösen ? | ||||
Rechnerisches Denken | ||||
Kann mit den gegebenen Zahlen ohne Probleme umgegangen werden ? | ||||
Kann die Rechenaufgabe im Kopf gelöst werden ? | ||||
Ist
die schwere Rechenaufgabe mit Hilfsmitteln problemlos
lösbar
? |
||||
Umgang
mit Daten und Zahlen |
||||
Enthält die Aufgabenstellung einen statistischen Teil ? | ||||
Sind
Zahlen und Daten auszuwerten
bzw. grafisch |
||||
Räumliches
Vorstellungsvermögen |
||||
Können die gegebenen Entfernungen oder Größenordnungen ohne Probleme eingeschätzt werden ? | ||||
Ist es einfach, hiervon 3-D-Skizzen anzufertigen oder zu verstehen ? | ||||
Kann man sich den geometrischen Körper, ohne eine Skizze zu zeichnen, vorstellen ? | ||||
Ideenreichtum
|
||||
Bedarf es sehr vieler Einfälle ? | ||||
Sind die Probleme ganz einfach zu lösen ? | ||||
Ist Neues zu entwerfen ? | ||||
Sind Entwürfe zu planen ? | ||||
Sind Ideen zu entwickeln ? |
Schlussbemerkung
Schätzen ist besser
als Raten, lautet die Überschrift.
Ich hoffe, mit diesem Beitrag
„den Anspruch an möglichst
weitgehende Objektivität des Urteils und Vergleichbarkeit der Maßstäbe“
der Nds Richtlinien, für die Praxis nachvollziehbar ansatzweise
konkretisiert zu haben.
Hans-Dietrich Zeuschner - Januar 2003
Markus Zeuschner März 2003:
Eigene Anmerkung:
Im praktischen Unterricht, lasse ich meine Schüler häufig ihre gefertigten Werkstücke selbst bewerten. Die Kriterien werden von mir vorgegeben. Das klappt bei unseren lernbehinderten Schülern besser, als man gemeinhin annehmen würde. Ich setze häufig eine Drittelung bei der Bewertung ein: Je 1/3 der Note erfolgt als Bewertung durch den Lehrer, durch den Schüler selbst und durch einen Klassenkameraden. Die Schüler benoten selten zu gut, manchmal eher kritisch. Ich kann nur jedem empfehlen, es selbst einmal auszuprobieren.
Wiesinger
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19.02.15